Guinea-Bissau: Rückschritt der Pressefreiheit

Von Tony Tcheka*

In Guinea-Bissau herrscht heute unter Medienbeobachtern und Medienvertretern weitgehend Einigkeit darüber, dass es Bestrebungen gibt, die öffentliche Kommunikation zu kontrollieren und mundtot zu machen. Dies gilt in besonderem Maße für Radiosender. Sie unterliegen einer strengen Überwachung, die sogar so weit geht, sie zum Schweigen zu bringen, sobald sie bestimmte Themen wie Drogenhandel, Regierungsführung und Bürgerrechte ansprechen oder das Handeln der derzeitigen Regierung in Frage stellen.

Diese Feststellung wirft eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit den nächsten Parlamentswahlen auf, die für den 4. Juni angesetzt sind. Journalisten und Analysten bezweifeln, dass die Behörden die Freiheit gewährleisten, denn sie zeigen sich unempfänglich für andere Meinungen und politische Ansichten und legen eine deutliche Abwehrhaltung gegenüber Kritik und vor allem der Pressefreiheit in ihrer ganzen Bandbreite an den Tag. Der Präsident des Journalistenverbandes wies bereits vor Beginn des Wahlkampfes darauf hin, dass die derzeitige Regierung nur auf ihre eigene Propaganda bedacht ist und die im Gesetz verankerte Pressefreiheit untergräbt.

Medien unter strenger Beobachtung

Zwar stehen alle Medien unter strenger Beobachtung, die Radiosender werden jedoch bei weitem am stärksten überwacht und angegriffen. Und warum? Weil in Guinea-Bissau alles, was im Radio gesendet wird, sei es eine Stellungnahme, eine Anregung oder ein Interview, eine unvorstellbare Multiplikatorwirkung hat. Dieses Medium nimmt, was die Hörerschaft und die Nähe zur Öffentlichkeit angeht, eine Sonderstellung ein, die alle anderen übertrifft. Man darf nicht vergessen, dass das Radio in diesem Land, das sehr stark von Analphabetismus, Isolation und Armut geprägt ist, schon immer das Instrument der öffentlichen Kommunikation schlechthin ist. Und es ist angesichts der Regierungspolitik nicht anzunehmen, dass sich diese Faktoren, die eine demokratische Entwicklung behindern, ändern werden.

Aus diesem Grund wird die Bedeutung der Radios, insbesondere der Bürgerradios und/oder lokalen Radios, für die Hörer tendenziell zunehmen. Die Interdependenz und Nähe zwischen Hörer und Radio gewinnt immer mehr an Bedeutung. Radiohören ist billiger als eine Zeitung zu kaufen oder sich einen Fernseher zuzulegen, zumal die Reichweite des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders (TGB) nur einen winzigen Teil der Hauptstadt abdeckt und er als Sprachrohr der herrschenden Macht gilt. Nur in wenigen Haushalten gibt es Strom, und wenn, dann meist nur für kurze Zeit. Für die Zeitungen sind der Analphabetismus, die wenig ausgeprägte Lesegewohnheit der Gebildeten und die Tatsache, dass es weder in der Hauptstadt noch im Rest des Landes ein Vertriebs- und Verkaufsnetz gibt, ein großes Hindernis. Ein weiterer entscheidender Aspekt, der nicht übersehen werden darf, ist die Möglichkeit der Radiosender, einen großen Teil der Bevölkerung von schätzungsweise 2 Millionen Menschen zu erreichen, die etwa 30 Sprachen sprechen. Neben der guineischen Kreolsprache, die am weitesten verbreitet ist, und der portugiesischen Sprache, die nur von einer Minderheit in den urbanen Zentren benutzt wird, verwendet jede ethnische Gruppe im Alltag ihre eigene Muttersprache. Von daher haben die lokalen Bürgerradios einen weiteren Vorteil, denn sie können in den jeweiligen einheimischen Sprachen senden und Themen von lokalem Interesse aufgreifen. Dadurch sind sie in der Lage, sich gezielt an ihre Zuhörer zu wenden und ermöglichen ihnen eine größere Mitsprache bei der Gestaltung des Programms und der Auswahl der Inhalte. Dadurch dass auch Bildungs- und Informationsprogramme in den lokalen Sprachen ausgestrahlt werden, schaffen die Radiosender echte „Zugangswege“ im Hinblick auf das Wissen und die Realität der heutigen Welt, wodurch die Problematik der vielen Analphabeten weniger ins Gewicht fällt.  

Eine weitere seit einiger Zeit versuchsweise durchgeführte Praxis ist das kollektive Hören.  Dies ermöglicht lebendige Debatten der Menschen vor Ort, die ihr Umfeld so gut kennen, dass sie selbst Ideen und Lösungen zur Überwindung von Problemen beisteuern können, die mit der Unterentwicklung, aber auch mit dem Unwissen der Machthaber einhergehen, die die lokalen Realitäten oft nicht kennen. 

Rückschritt der Freiheiten

Anlässlich des Welttages der Pressefreiheit erklärte Indira Correia Baldé, Vorsitzende der Journalistengewerkschaft SINJOTECS, dass sich in ihrem Land Guinea-Bissau ein „Rückschritt der Freiheiten…“ abzeichnet. Diese Beobachtung wird von vielen Experten, Analysten und Journalisten geteilt. Sie berichten von einer unakzeptablen Situation massiver Zensur und Repression, die exponentiell zugenommen hat, wobei die Radiosender am stärksten betroffen sind. Sehr oft kam es bereits zu verschleierten Drohungen gegen die Integrität und Unabhängigkeit der Medien, zu Verfolgungswellen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss und zu Aktionen, die von „vermummten bewaffneten Männern“ durchgeführt wurden. Diese Männer greifen, sogar am helllichten Tag, ungestraft Journalisten an und entführen sie; sie überfallen Radiosender, ohne dass die Regierung etwas dagegen unternimmt. Sie verprügeln Journalisten und technische Mitarbeiter, zerstören die Ausrüstung und das gesamte Arbeitsmaterial und bringen auf üble Art und Weise das Radioprogramm zum Schweigen. Nur weil es jemandem missfällt, der sich über das Gesetz und den Rechtsstaat stellt, die doch eigentlich von allen Bürgern, unabhängig von ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Situation, eingehalten und verteidigt werden sollten. So schreibt es schließlich die Verfassung der Republik vor, die für viele Beobachter inzwischen nur noch Makulatur ist. 

Dieselben „vermummten bewaffneten Männer“ gehen auch gegen Aktivisten und Oppositionspolitiker vor. Seit einigen Jahren werden Juristen und Parlamentsabgeordnete immer wieder eingeschüchtert, manchmal sogar zusammengeschlagen und angeschossen. Die Liste der schwer misshandelten Bürger wird immer länger: Journalisten, Parlamentsmitglieder, Anwälte und Aktivisten mussten zur medizinischen Behandlung ins Ausland gebracht werden, vor allem in den Senegal und nach Portugal.

Repressive Übergriffe gegen Radiosender

Der Machtmissbrauch durch Beschränkung und Kontrolle von Medieninhalten ist schon lange bekannt. Die Fälle von Verfolgung, Einschüchterung und Übergriffen haben sich jedoch infolge von Rundfunkberichten über Verstöße gegen das geltende Recht im Land vervielfacht. Die Radiosender sind aufgrund ihrer kritischen Rundfunkdebatten die bevorzugte Zielscheibe der repressiven Übergriffe. Es gibt eine lange Liste von Radiostationen, die Opfer von Gewalt wurden und in vielen Fällen gezwungen waren, ihren Sendebetrieb auszusetzen oder einzustellen, wie die Fälle von Quelélé, Bombolom, Pindjiguiti, Rádio Jovem, Sol Mansi, Capital und anderen zeigen. Viele Bürgerradios haben sich gegen restriktive Maßnahmen, fehlende Unterstützung und die ständigen Angriffe seitens der Regierung gewehrt, die von willkürlichen Maßnahmen bis hin zu Forderungen nach der Zahlung unhaltbarer Lizenzgebühren reichen. Dabei ist bekannt, dass die meisten von ihnen aufklärende und identitätsstiftende Arbeit leisten, die darauf abzielt, den Wissensstand und den Zusammenhalt der Bürger von Bissau-Guinea zu verbessern. Es ist außerdem bekannt, dass die Radiosender finanziell nicht abgesichert sind und größtenteils durch kleine Beiträge von anonymen Bürgern und nicht von Unternehmen oder großen Institutionen unterstützt werden. Werbung ist in einem Land mit niedrigen Löhnen und dürftigem Einkommen nicht von Bedeutung. Anzeigen und Bekanntmachungen von Bürgern werden über die Radiosender verbreitet, die in diesem Fall die Lücke der praktisch nicht existierenden Postdienste schließen. Dies ist eher eine soziale Dienstleistung als eine Einnahmequelle. Für die Bevölkerung ist das der direkteste und günstigste Weg, um miteinander zu kommunizieren und die Entfernung zwischen den städtischen Zentren und den mehrheitlich ländlichen Gebieten zu überwinden, die in der Regel sehr isoliert sind, was oft schwerwiegende Folgen für die Menschen hat.

Es sind wohlgemerkt vor allem die Radiosender, die in Ausnahmesituationen, insbesondere bei Ausbruch einer Pandemie, eine umfassende Sensibilisierungskampagne entwickeln und die Bevölkerung darüber informieren, worum es geht, wie sie sich verhalten soll und welche Präventivmaßnahmen ergriffen werden sollten.
Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, sei auf das Jahr 1995 verwiesen, als eine Choleraepidemie die Subregion der Westküste Afrikas heimsuchte und viele Opfer forderte. Als die Epidemie Guinea-Bissau erreichte, war es ein Kommunaler Radiosender in Bissau (Rádio Comunitária de Quelelé), der eine breit angelegte Kampagne entwickelte, in die Aktivisten, Jugendliche sowie angesehene Männer und Frauen einbezogen wurden. Die Kampagne war so erfolgreich, dass das Quelelé-Viertel als einziges in der ganzen Stadt und den umliegenden Gebieten von Bissau verschont blieb und kein einziger Fall von Ansteckung registriert wurde.

Diesem Beispiel könnten noch weitere hinzugefügt werden, die die Bedeutung der Radios, insbesondere der Bürgerradios, für die Gesellschaft verdeutlichen. Grundsätzlich wenden sich die Gesundheitsdienste in ähnlichen Situationen oft an das Radio, wenn sie Hilfe benötigen… Dank der Hilferufe über das Radio hat die Notaufnahme des Krankenhauses „Simão Mendes“ in Bissau schon mehrmals lebensrettendes Blut erhalten. Das alles hält die Machthaber nicht von ihrer Hetze gegen die Radios ab. Trotz der jüngsten Tragödie bei COVID – (2020 und 2021) mit so vielen Toten und Folgeschäden – wird die Rolle der Medien, insbesondere der Radiosender, von der Regierung einfach ignoriert. Sie verlangt von diesen „Partnern“ hohe Lizenzgebühren mit so hohen Geldbußen und Strafen, dass sie in einigen Fällen die sofortige oder baldige Schließung mehrerer Sender bedeuten.

Ein Vergleich mit den Daten der Studie “ Die Medien in Guinea-Bissau „, die 2015 im Rahmen des von der Europäischen Union finanzierten Programms zur Unterstützung nichtstaatlicher Akteure veröffentlicht wurde, zeigt, dass eine große Anzahl von Kommunikationsorganen verschwunden ist und zum Schweigen gebracht wurde.  

Missstände rufen Stimmen des Protests hervor

In den letzten Jahren war das Land Zeuge einer ungewöhnlichen Anzahl von gewalttätigen Übergriffen auf Radiosender, Journalisten und Techniker. Neben den Fällen von Vandalismus in den Studios und von zerstörtem Equipment wurden zudem behördliche Maßnahmen ergriffen, insbesondere die Festlegung von unzumutbaren Gebühren in Höhe von 15.000 Dollar für die Erteilung einer einfachen Sendelizenz.

Radio Capital FM, der Sender mit der größten Hörerschaft überhaupt und einer redaktionellen Linie, die sich vor allem auf den Bericht von Fakten stützt und in den Augen der Analysten und der Menschenrechtsorganisationen auf die Einhaltung berufsethischer Werte bedacht ist, wurde zur besonderen Zielscheibe der Attacken, weil es durch seine Anprangerungen stört und denjenigen eine Stimme gibt, die keine haben. Im Juli 2020 wurde dieser Radiosender angegriffen, seine Ausrüstung zerstört, Journalisten und Techniker wurden verprügelt und andere in die Flucht geschlagen. Damit wurde das Radio zum Schweigen gebracht. Eine Welle der Solidarität im In- und Ausland ermöglichte den Wiederaufbau des Studios und die schrittweise Wiederaufnahme der Sendungen. Das Programm wurde zur Freude der Hörer mit der gleichen redaktionellen Linie fortgesetzt. Das war jedoch nur von kurzer Dauer.

Im Februar 2022 kam es zu einem weiteren bewaffneten Überfall, der noch gewalttätiger war und am helllichten Tag stattfand. Mitten in der Sendezeit fielen Schüsse und Beschäftigte sprangen in Panik aus hoher Höhe in die Tiefe. Fünf Journalisten wurden verletzt, die gesamte technische Ausrüstung wurde mit Maschinengewehren zerstört und ein großer Teil des Tonstudios in Schutt und Asche gelegt. Die Regierung hat keinen Untersuchungsbericht vorgelegt und den Vorfall heruntergespielt. Seitens des Innenministeriums (Staatssicherheit) hieß es, es handele sich um eine „isolierte Tat“ – ein Ausdruck, der immer dann verwendet wird, wenn Bürger geschlagen und misshandelt werden und zu Opfern von Angriffen der Vermummten werden. Der Journalist Adão Ramalho von Radio Capital FM wurde mitten in einer Reportage angegriffen, als er über die Rückkehr eines Oppositionsführers nach Bissau berichtete, und man versuchte, ihn zu entführen. Bislang hat kein Mitglied der Regierung Radio Capital oder seine Hörer besucht oder ein Wort des Beileids an sie gerichtet. Andere Sender wie Galáxia de Pindjiguiti, Bombolom, Rádio Jovem stehen ebenfalls unter Beobachtung und sind Opfer von Einschüchterungsversuchen.

Die Journalistengewerkschaft hat die ständigen Verstöße gegen das Pressefreiheitsgesetz immer wieder angeprangert und gleichzeitig das tatenlose Schweigen der Behörden hinterfragt. Ebenso beschuldigte der Vorsitzende des Journalistenverbands, Antonio Nhaga, die Regierung, keine Maßnahmen zu ergreifen. Die Behörden des Landes würden die Pressefreiheit nicht anerkennen und sich nur um die eigene Propaganda kümmern.   

Die Guineische Menschenrechtsliga (Liga Guineense dos Direitos Humanos – LGDH) hatte die Regierung bereits kritisiert, weil sie nichts gegen die Übergriffe auf Journalisten und andere Bürgern unternommen hatte. Anfang dieses Jahres hat sie auch den Übergriff auf den Ladenbesitzer Ussumane Baldé am 30. Dezember, der die Einhaltung der Regeln für die Vergabe von Schließfächern auf dem städtischen Markt gefordert hatte, als „terroristischen Akt“ verurteilt und erneut die „Untätigkeit der Regierung“ gebrandmarkt, die ihrer Ansicht nach zum Komplizen der Gewaltakte geworden ist, die in den letzten Jahren einen Schatten auf Guinea-Bissau geworfen haben.  

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* Journalist, Schriftsteller, Sozial- und Politikanalyst (*1951, Guinea-Bissau), lebt als Autor und Journalist in Bissau und Lissabon. Er ist Vorsitzender des Schriftstellerverbandes von Guinea-Bissau und Mitbegründer des Verlags Corubal. 1985- 1986 war er Leiter des Staatlichen Rundfunksenders von Guinea- Bissau, RDN – Radio Difusão Nacional.  2015 veröffentlichte Tony Tcheka eine grundlegende Studie über die Medien in Guinea-Bissau (Os Media na Guiné-Bissau, Bissau) 

Übersetzung aus dem Portugiesischen: Rosa Rodrigues. Rosa Rodrigues (geb. 1968 in Sinsheim) ist Übersetzerin und lehrt und forscht am Institut für Übersetzen und Dolmetschen (IÜD) der Universität Heidelberg.