Staatskrise in Guinea-Bissau

Die intransparente politische Situation in Guinea-Bissau nach der verfassungswidrigen Auflösung von Parlament und Regierung durch den Präsidenten Umaro Sissoco Embaló am 4.12. 2023 (Staatsstreich??) hat zu allerlei Spekulationen über Ursachen, vor allem aber über die unmittelbaren Folgen für das Land geführt. Auch in der ACG kursieren dazu diverse Erklärungsversuche.

Der deutschsprachige aktuelle Beitrag zur „Staatskrise in Guinea-Bissau“ vom European Journalism Observatory“ (EJO) scheint uns geeignet, die Sache einzuordnen – insbesondere auch hinsichtlich der Situation der Medien und Journalisten. Bei der Förderung von Lokal-und Community-Radios im Land wird neben UN und EU ausdrücklich das WFD-Projekt benannt, das von unserem Mitglied Jasmina Barckhausen geleitet wird und das auch bei verschiedenen Anlässen von der ACG unterstützt wurde.

(Bernd Leber, Vorstandsvorsitzender ACG)

Staatskrise in Guinea-Bissau: Die Wahrheit des Stärkeren

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Johanna Mack, 8. Dezember 2023

Von den deutschen Medien wenig beachtet, gab es im westafrikanischen Guinea-Bissau in der vergangenen Woche bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Präsidenten und der Opposition. Inzwischen ist die bisherige Regierung, die gerade erst mit ihrer Arbeit begonnen hatte, abgesetzt. Putschversuch oder nicht… wie so häufig gehörte die Pressefreiheit zu den ersten Opfern der Eskalation.

Zwei Politiker werden wegen Korruption verhaftet und kurz darauf gewaltsam befreit. Schusswechsel in der Nacht – wenige Tage später ist das Parlament aufgelöst und die staatlichen Medien sind vom Militär besetz, ihre Chefs ausgetauscht. Dies ist eine Kurzbeschreibung der Ereignisse der vergangenen Woche in Guinea-Bissau. In der aktuellen politischen Krise zeigen sich auch Machtkämpfe und Dynamiken, die das Land seit Jahren beschäftigen. Was es für Medien bedeutet, in einem fragilen Staat zu agieren, lässt sich an der aktuellen Situation in dem westafrikanischen Land beispielhaft zeigen. „Was wir gerade beobachten, bedeutet, dass wir uns noch weiter von der Idee einer Demokratie in Guinea-Bissau entfernen“, kommentiert Journalist Fernando Jorge Lopes Pereira gegenüber dem EJO. „Ein Effekt davon ist die Einschränkung quasi aller Freiheiten, vor allem aber der Pressefreiheit.“

Hintergrund

Guinea-Bissau ist ein zwei-Millionen-Einwohner-Staat am Golf von Guinea, angrenzend an Guinea und Senegal. Die schwierige Position der Medien zieht sich durch die Geschichte: Für die portugiesischen Kolonialherren war dieses Territorium nie eine Priorität, wodurch sich auch die Medien nie als Raum für freie öffentliche Debatten konsolidieren konnten (Fonseca, 2016). 1974 erlangte Guinea-Bissau nach erbittertem Freiheitskampf seine Unabhängigkeit und wurde daraufhin 20 Jahre lang in einem Einparteiensystem von der Partido Africano da Independência da Guiné e do Cabo Verde (PAIGC) regiert – während dieser Zeit waren Information und „Wahrheit“ Staatsmonopol; Zensur war an der Tagesordnung. Erst in den 1990er Jahren wurden weitere Parteien sowie Medien zugelassen. Spannungen zwischen verschiedenen Interessengruppen in Politik und Militär führten allerdings zum Bürgerkrieg von 1998/99, in dem Medien einerseits von verschiedenen Kriegsparteien zur Propaganda benutzt, andererseits auch für Friedensarbeit eingesetzt wurden. In der darauffolgenden Zeit der politischen Instabilität zeigen sich ebenfalls zwei gegenläufige Tendenzen: Die Politisierung und Instrumentalisierung der Medien, aber auch der Versuch, sie als Pfeiler der Demokratisierung und Friedensarbeit zu etablieren. So arbeiten auch verschiedene internationale Akteure, darunter die UN, die EU, der Weltfriedensdienst und verschiedene NGOs intensiv mit Medien.

Praça dos Herois Nacionais in Bissau, mit Präsidentenpalast im Zentrum und Zentrale der PAIGC rechts. Bildquelle: Wikimedia Commons

Besonders Radios spielen in Guinea-Bissau eine bedeutende Rolle: Neben je einem staatlichen Fernseh- und Radiosender sowie einer staatlichen Zeitung gibt es rund ein Dutzend private und um die 30 Community Radios, dazu zwei private Zeitungen und einige Online-Angebote. Auch das portugiesische RTP África hat einen Ableger in Bissau.

Staatsfragilität

Der Begriff „fragiler Staat“ bezieht sich auf „die Kombination aus Risikoexposition und unzureichenden Bewältigungskapazitäten des Staates, des Systems und/oder der Gemeinschaften, um diese Risiken zu bewältigen, zu absorbieren oder abzumildern” (OECD, 2023b). Diese Fragilität zeigt sich in Guinea-Bissau sowohl auf dem politischen und wirtschaftlichen Level, aber ebenso in Bezug auf humanitäre, gesellschaftliche und Umwelt-Faktoren (OECD, 2023a). Institutionen sind oft nicht in der Lage, die ihnen zugeschriebenen Rollen auszufüllen. Neben politischen Institutionen gilt das hier besonders für das Gesundheits- und Bildungssystem. Auch hinter dem in westlichen Kontexten angenommenen Zusammenhang zwischen freien, unabhängigen Medien und funktionierender Demokratie steht in fragilen Staaten daher ein Fragezeichen, dieses Verhältnis ist ebenfalls vom kontinuierlichen Erlebnis der Dysfunktionalität geprägt – betrachtet durch einen europäischen Blickwinkel. Wie die Kommunikationswissenschaftlerin Nicole Stremlau betont, finden sich gerade in fragilen Kontexten oft alternative Wege. Laut der bissau-guineischen Soziologin Joacine Katar Moreira herrscht in Abwesenheit eines stabilen Systems in Guinea-Bissau oft das Recht des Stärkeren, die matchundadi. Zugleich finden sich andere Wege, diesen Kontext zu navigieren und sich darin so weit wie möglich zu behaupten – beschrieben zum Beispiel durch das Konzept der mandjuandadi, die Selbstorganisation lokaler Bevölkerungsgruppen.

Keine politische Stabilisierung in Sicht

Wahlplakate von Umaro Sissoco Embaló aus dem Jahr 2019.

In der aktuellen politischen Krise sind die Medien einmal mehr unter Beschuss. Die Hintergründe der Situation beziehen sich auf die allgemeinen Machtkämpfe verschiedener politischer Gruppierungen. Bereits bei seinem Amtsantritt 2020 war die Legitimität der Präsidentschaft Umaro Sissoco Embalós im Land umstritten, wurde aber dann von der internationalen Gemeinschaft offiziell anerkannt. Kurz darauf endete das zwanzigjährige Mandat des UN Integrated Peacebuilding Office UNIOGBIS. Nach einem „sehr undurchsichtigen Putschversuch“ im Februar 2022 löste Präsident Umaro Sissoco Embaló das Parlament auf. Außerdem wurde damals ein regierungskritisches Radio zerstört und ein Dekret verabschiedet, wonach viele Radios des Landes fortan illegal agieren würden, weil sie Lizenzgebühren nicht gezahlt hätten (wir berichteten). Nach einem Jahr ohne Parlament gab es dann im Juni 2023 Neuwahlen. Die Regierung von Guinea-Bissau wird verdächtigt, während dieses Zeitraums den Empfang von RTP África gestört zu haben, was jedoch bisher nicht offiziell bestätigt werden konnte. Bei der Parlamentschaftswahl gewann die Partei PAI-Terra Ranka die meisten Sitze – so nennt sich heute die frühere PAIGC, die das Land nach der Unabhängigkeit 20 Jahre lang allein reagierte. Der Präsident wiederum gehört der Partei MADEM-G15 an, die sich 2018 von der PAIGC abspaltete – seitdem stehen beide in Opposition zueinander. Seit Juni waren also Präsidentschaft und Parlament miteinander uneins.

Dies scheint sich in der Affäre rund um die Hinterziehung von (je nach Quelle) sechs bis zehn Millionen Dollar Staatsgeldern widerzuspiegeln: Am 30. November wurden Finanzminister Souleiman Seidi (Mitglied der PAI-Terra Ranka) und Finanz-Staatssekretär Antonio Monteiro dafür verhaftet. Befreit wurden sie nur wenig später von Mitgliedern der Nationalgarde, welche dem Innenministerium untersteht. Die Armee wiederum untersteht dem Präsidenten, wenn auch Teile mit der Opposition sympathisieren sollen. Guinea-Bissau gilt als stark militarisierter Staat, in dem die Armee ausschlaggebend für politische Entscheidungen sein kann und ebenso wie die Politik in internationale Kriminalität, vor allem Kokainhandel, verwickelt ist. In der Nacht auf den 1. Dezember ereigneten sich dann heftige Schusswechsel zwischen der Armee und der Nationalgarde, nach Angaben von Reuters mit zwei Todesopfern. Am Morgen danach patrouillierte Militär durch die Straßen. Der Schulbetrieb wurde vorübergehend ausgesetzt, die Märkte funktionierten weiter.

Kampf um Deutungshoheit

Präsident Sissoco Embaló eilte von der Weltklimakonferenz in Dubai zurück in sein Land. Dort erklärte er, die Ereignisse stellten einen Putschversuch dar und löste infolgedessen die Regierung auf. Sich selbst erklärte er bis zum Antritt einer neuen Regierung zusätzlich zum Innen- und Verteidigungsminister. Regierungschef Geraldo João Martin solle zusätzlich das Finanzministerium übernehmen.

Die Darstellung der Situation als Putsch stößt allerdings auf Widerspruch: Die guineische Menschenrechtsorganisation Liga Guineense dos Direitos Humanos betont in einer Pressemitteilung, dass die Auflösung das Parlaments im ersten Jahr nach dessen Wahl einen Verfassungsbruch darstelle. Der Jurist und Journalist Armando Lona bezeichnet das Verhalten des Präsidenten im Interview mit der Deutschen Welle als Staatsstreich, also einen Putsch von oben. Einige Parlamentsmitglieder kündigten an, ihre Posten nicht zu räumen, da die Auflösung des Parlaments illegitim sei. Die Parteizentrale der PAIGC/ PAI-Terra Ranka wurde jedoch vom Militär blockiert. In einem Interview mit dem portugiesischsprachigen Service der Deutschen Welle nennt der politische Analyst Sumaila Jaló die Geschehnisse einen erneuten Angriff auf die Demokratie. Auf welcher politischen Seite verschiedene Medienanbieter stehen, lässt sich unter anderem dadurch erahnen, ob sie die Geschehnisse als Putsch bezeichnen und ob sie diesen dem Präsidenten oder der Opposition anlasten.

Auswirkungen auf die Medien

Im Zuge der Unruhen wurden die Staatsmedien von der PAI-Terra Ranka beschuldigt, nur nach der Linie der Partei MADEM-G15 zu berichten. Kurz nach den nächtlichen Schusswechseln drang Militär in die Rádiodifusão Nacional (RDN), die sich ohnehin direkt neben einem Militärstützpunkt befindet, und die Televisão da Guiné-Bissau (TGB) ein. Kurzzeitig wurden die Sendungen ausgesetzt und nur noch Musik gespielt. Laut Pereira protestierten die Journalist:innen der RDN, indem sie geschlossen nach Hause gingen. Inzwischen haben die Militärs den Direktor des RDN gegen einen als präsidentschaftstreuer geltenden Kandidaten ausgetauscht. „Um meine journalistische Freiheit zu beschützen, trete ich als Redaktionschef der RDN zurück“, bekannte daraufhin Journalist Djibril Iero Mandjam.

Die Journalistenvereinigung SINJOTECS nennt  das „Eindringen bewaffneter Männer in den öffentlichen Rundfunk und das Fernsehen von Guinea-Bissau und die anschließende Vertreibung der Mitarbeiter dieser Organisationen am vergangenen Montag“ in einer Pressemitteilung einen „Affront gegen die Presse- und Meinungsfreiheit sowie gegen die Sicherheit der Journalist:innen, die nur ihre Arbeit ausüben“. Indira Correia Balde, die Vorsitzende der SINJOTECS: „Es bedeutet einen Rückschritt für die Medienfreiheit. Wir beobachten nun wieder Zensur und Einschränkungen, es wird vorgegeben, wer in den Medien reden darf und wer nicht. Dies ist ein starkes Signal, dass noch dunklere Zeiten auf uns zukommen.“

Ein Beispiel ist das private Radio Capital FM: während der Präsidentschaft Sissocos wurde es zweimal von bewaffneten Männern zerstört; das Radio galt als besonders regierungskritisch. Nach den Wahlen im Juni begann Rádio Capital FM wieder, auszustrahlen, darunter die kritische Diskussionssendung Frequência Ativa. Laut Fernando Jorge Pereira ist diese seit dem 1. Dezember wieder ausgesetzt: Selbstzensur aus Sicherheitsbedenken.

Auch auf Medienentwicklungsprogramme hat die politische Krise Auswirkungen. Wie die Repräsentantin der Media Foundation West Africa (MFWA) in Guinea-Bissau, Daisy Prempeh erklärt, sind zum Beispiel die Bemühungen der Organisation durch die Auflösung der Regierung kurzfristig auf Eis gelegt. Die in Ghana ansässige MFWA, die in ganz Westafrika Medienentwicklungsprojekte umsetzt, hat 2021 in Guinea-Bissau ein großes, von der EU finanziertes Projekt gestartet. In einen Zeitraum von mindestens drei Jahren möchte die Organisation unter anderem Capacity Building mit Medienorganisationen, Journalistentrainings und auch Workshops mit Militär, Polizei und Politikern durchführen, in denen sie im Umgang mit Medien geschult werden sollen. Es braucht dafür allerdings auch die nationalen Partner: „Wir haben unter anderem mit dem Kommunikationsministerium, dem Medienrat, der Polizei, dem Militär, der Gerichtsbarkeit und der Nationalen Kommission für Menschenrechte zusammengearbeitet“, so Prempeh. Aktuell müssen diese Verbindungen neu aufgebaut und die Lage sondiert werden. Ein Rückschlag für die Medienentwicklungszusammenarbeit.

Guinea-Bissau hat über 30 Community Radios, hier auf der Insel Bubaque

Dies beschreibt auch Fernando Jorge Pereira. Gemeinsam mit der Regierung habe es Bemühungen gegeben, einen Presseausweis einzuführen: „Es sorgt für Verwirrung, wenn verschiedene Personen behaupten, sie seien Journalisten, weil sie sich davon Vorteile versprechen, obwohl es nicht stimmt oder sie nur einmal im Radio gesprochen haben.“  Während beider Regierungen, die Sissoco Embaló auflöste, wurde an diesem Vorhaben gearbeitet. Das gilt auch für die Debatte um Radiolizenzen: nachdem seit 2022 Radios aufgrund der fehlenden Zahlung von Lizenzgebühren mit Schließung gedroht wurde, begannen Diskussionen zwischen Regierung, Medienvertretern und internationalen Akteuren, wie die Position der Radiosender, von denen viele ohne nennenswerte finanzielle Mittel arbeiten, gestärkt werden könne. „Mit der Auflösung des Parlaments haben wir wieder eine Regierung, die Journalisten feindlich gegenüber steht“, so Pereira.

Inzwischen hat Präsident Sissoco Embaló die Bildung einer neuen Regierung in der kommenden Woche angekündigt. Die Rolle des Innenministers solle nun bis dahin anstatt seiner selbst der bisherige Staatssekretär Marciano Indo übernehmen. Diamantino Domingos Lopes, Journalist und Vertreter von SINJOTECS, sagt gegenüber der Deutschen Welle: „in Bissau ist alles möglich“.

Literaturhinweise:

Fonseca, I. A. (2016). Dilatando a fé e o império: a imprensa na Guiné no colonialismo (1880-1973). Media & Jornalismo16(29), 119-138. https://doi.org/10.14195/2183-5462_29_8

Katar Moreira, J. (2020). Matchundadi: Género, performance e violência política na Guiné-Bissau. Sequência. Documenta. https://doi.org/Katar

Lopes, A. S. (2015). Os média na Guiné-Bissau. Edições Corubal.

OECD. (2023a). Guinea-Bissau. States of Fragility 2022. https://www.oecd.org/dac/states-of-fragilityfa5a6770-en.htm

OECD. (2023b). States of Fragility 2022. https://www.oecd.org/dac/states-of-fragility-fa5a6770- en.htm

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