Konflikt des 7. Juni

Guine-Bissau ka pudi muri!‘ Guine-Bissau ka pudi kaba! Guinea-Bissau darf nicht sterben! Guinea-Bissau darf nicht untergehen!

 

Moema Parente Augel, Universität Bielefeld (Übersetzung des portugiesischen Textes von Gertrud Achinger)

 

Mit wenig mehr als einer Million Einwohnern ist Guinea-Bissau eines der ärmsten Länder der Welt. Dennoch ging von hier eine der gewaltsamsten und erfolgreichsten Widerstandbewegungungen gegen die portugiesische Kolonialherrschaft aus. Nach elf Jahren Kampf (1962-1973) erklärte 1973 die PAIGC (Partido Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde – Afrikanische Partei der Unabhängigkeit von Guinea-Bissau und Kap Verde) die Unabhängigkeit. Der hauptsächliche Träger dieses außerordentlichen Unternehmens war Amilcar Cabral, der intellektuelle , militärische und politische Führer des Befreiungskampfes, der im Januar 1973, weniger als acht Monate vor der Unabhängigkeit, auf barbarische Weise vor seiner Wohnung in Conakry ermordet wurde. Ein bisschen Geschichte Der erste Präsident der Republik Guinea-Bissau war Luís Cabral, einer der ranghöchsten Führer des antikolonialen Widerstands und Kommandant eines Bereichs der Guerillaarmee, eine charismatische Persönlichkeit, dem von Revolutionären grosser Respekt gezollt wurde. Er regierte das Land bis zum 14. November 1980, als er durch einen Staatsstreich im Namen der sogenannten „Wiederherstellungsbewegung“, die von General João Bernardo Vieira geführt wurde und für sich in Anspruch nahm, die nationale Einheit und die revolutionären Ideale zu retten. Seit 1980 wird das Land von ihm, bekannt als „Nino“ Vieira, geführt. Er war einer der führenden Generäle des Freiheitskampfes, und auch er ist eine Nationalheld, gleichermassen charismatisch und ebenfalls eine der Säulen der PAIGC. Seit der Unabhängigkeit wird Guinea-Bissau mit eiserner Hand durch die Staatspartei PAIGC regiert, die allgegenwärtig und allmächtig ist und sich als einzige Repräsentantin der revolutionären Demokratie betrachtet. Eine zaghafte wirtschaftliche Liberalisierung seit 1980 führte Schritt für Schritt auch zu einer politischen Liberalisierung, und dieser Prozess dauerte bis 1994, als Oppositionsparteien auf der Basis eines Parteienpluralismus schliesslich anerkannt wurden. Im August 1994 wurden die ersten Wahlen für den Präsidenten und das Parlament abgehalten; das Parteienspektrum war gross, der bisherige Präsident João Bernardo Vieira (Nino) wurde jedoch mit einer minimalen Mehrheit in der Stichwahl als Präsident bestätigt. Es gab keinen Machtwechsel, obwohl die Einheit von Partei und Staat beendet war. Seit der Zeit von Luís Cabral bis zum Beginn dieses Jahrzehnts wurde der Status quo aufrechterhalten durch die Prärogativen des Geheimdienstes, die Rolle des Staatsgefängnisses, die Kriminalisierung des Widerstands und des Gedächtnisses des Volkes. Korruption und Nepotismus waren Alltagserscheinungen. Vier Jahre nach den Wahlen wurde die Unzufriedenheit der Bevölkerung sichtbar, der Prestigeverlust der Regierung gross. Dennoch erwartete niemand eine revolutionäre bewaffnete Bewegung, und der bewaffnete Konflikt, der 1998 ausbrach und fast ein Jahr, vom 7. Juni 1998 bis zum 6. Mai 1999, dauerte, war eine traurige Überraschung für die grosse Mehrheit der Guinenser und für die Welt. Die Vorgeschichte des Krieges Die Casamance ist ein kleiner Landstreifen im Süden der Republik Senegal an der Grenze zu Guinea-Bissau, er wurde ursprünglich von Portugal kolonisiert. Bis heute spricht man dort ein Kreolisch, das sehr viel Ähnlichkeit mit dem guinensischen Kreolisch hat. Es gibt feste Bande, vor allem familiärer Art, zwischen den Bewohnern der Casamance und den guinensischen Nachbargebieten. Seit vielen Jahren agiert in der Casamance eine Unabhängigkeitsbewegung, und seit mehr als 15 Jahren haben die guineensischen Militärs die Region mit Waffen versorgt, zum grossen Missfallen der Regierungen in Dakar und Paris. Das ist ein dauernder Konfliktherd. In letzter Zeit erhöhte sich der Druck von Dakar und Paris auf Guinea-Bissau, das sich im Mai 1997 der Währungsunion der westafrikanischen Staaten angeschlossen und den Franc CFA als Währung eingeführt hatte. Der guinensische Präsisent Nino Vieira sah sich gezwungen, den Chef des Generalstabs der Armee, General Ansumane Mané, unter der Anschuldigung, Waffen an die Casamance geliefert zu haben, seines Postens zu entheben. Die Absetzung des Generalstabschefs ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs und weist auf einen tiefergehenden und weiterreichenden Konflikt, der sich seit vielen Jahren zugespitzt hat und Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit der politischen, sozialen und ökonomischen Kräfte ist. Er verdiente eine intensivere Analyse. Die Unzufriedenheit in der Armee zum Beispiel war vor allem eine Folge des Rückstands in der Auszahlung des Solds und bestimmter Reformen in der Armeespitze. Ansumane Mané war ein langjähriger Freund und Waffenbruder des Präsidenten Nino Vieira, ein intimer Kenner der militärischen Geheimnisse des Landes. Er konnte die Anschuldigungen gegen ihn nicht ohne Protest akzeptieren. Wie es scheint, war der Stein, der die Lawine der aktuellen Ereignisse ins Rollen brachte, der Versuch, Ansumane Mané am Sonntag, dem 7. Juni, im Morgengrauen gefangenzunehmen. Der Krieg Am 7. Juni gegen fünf Uhr morgens reagierte Ansumane Mané auf die Gefangennahme und besetzte mit seinen Männern die Kaserne im Viertel Santa Luzia in der Hauptstadt. In der Nacht darauf gelang es ihm, die Kaserne von Brá, einem Stadtviertel im Norden von Bissau, zu besetzen, wo sich die am besten sortierten Arsenale des Landes mit schweren Waffen und die Lebensmittellager der Armee befanden. Der Zivilflughafen wie die Militärpiste von Bissilanca wurden ebenfalls bald besetzt. Die Reaktion von Seiten der Regierung liess nicht auf sich warten, und schon früh am selben Morgen kam es zu den ersten Gefechten in der Stadt mit Toten auf beiden Seiten. Ansumane Mané ernannte sich selbst zum Chef einer Militärjunta für die „Bewahrung von Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit“ und formulierte in einem Pressekommuniqué seine Forderungen: Rücktritt des Präsidenten der Republik und der Regierung sowie die Durchführung von Parlamentswahlen im Juli 1998 (diese Wahlen waren schon für Ende des Jahres vorgesehen). Ein grosser Teil des regulären Heeres unterstützte die Revolte von Ansumane Mané. Nino Vieira forderte Hilfe von den Nachbarstaaten an, und Senegal entsandte in den ersten Tagen des Konfliktes ungefähr 1.500 Soldaten, die Republik Guinée ungefähr 500. Die Zahl der ausländischen Soldaten, die die Innenstadt von Bissau beherrschten und die Grenzen des Landes kontrollierten, überstieg jedoch insgesamt 5.000. Die Entsendung der senegalesischen Truppen geschah auf der Basis eines bilateralen Abkommens, das 1975 zwischen den beiden Ländern abgeschlossen worden war. Trümmer prägten bald das Bild von Bissau, das in der Kolonialzeit als schönste afrikanische Stadt Portugals galt. Von seinen 300.000 Einwohnern verliessen 80% in panischer Angst ihre Häuser und Wohnungen und flohen ins Landesinnere und über die Grenzen. Die kleinen Städte und Gemeinden waren durch den Zustrom so vieler Personen absolut überfordert. Die Hauptstadt war verlassen und zerstört, das Hauptkrankenhaus stark beschädigt, das Zentrum für Tropenmedizin lag in Trümmern, der Zentralmarkt existierte praktisch nicht mehr, ebenso wie das wunderschöne Gebäude des metereologischen Dienstes, eine der wenigen Erinnerungen an die Kolonialarchitektur. Mehrere Botschaften wurden von Granaten und Mörsern getroffen, so die russische Botschaft und der Sitz der Europäischen Union. Das Hotel Hotti, das grösste der Stadt, ist eine Ruine, und seine Apartments wurden durch die senegalesischen Soldaten, die dort kaserniert waren, aufgebrochen und geplündert. Öffentliche Gebäude und Privathäuser wurden angezündet oder durch Granaten zerstört, auch die Plünderung von Läden und Wohnungen war Teil der schmerzvollen Kriegskultur, die weder Arme noch Reiche verschonte. Das INEP, das Nationale Institut für Studien und Forschung, das intellektuelle Herz des Landes, wurde in eine senegalesische Kaserne verwandelt, die Räume wurde geplündert, das Kommunikationszentrum zerstört, die Bibliothek und die Archive wurden in alle Winde verstreut. Hunger und Krankheiten bedrohten das Hinterland, wo es an allem fehlte: Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente und Brennstoff. Humanitäre Hilfsmassnahmen liefen bald an, aber die Bürokratie arbeitete langsam, und die Furcht, die nationale Souveranität zu verletzen, verzögerte sie. Dennoch brachten mit Beginn der dritten Kriegswoche die Kirchen und das Rote Kreuz die so notwendige Katastrophenhilfe in Gang. Die Grenzen wurden jedoch durch die senegalesischen Truppen kontrolliert, Lastwagen im Dienste der humanitären Hilfe wurden gestoppt, selbst wenn sie Ärzte und Krankenschwestern an Bord hatten, und nur durch den Einsatz grosser Mittel gelang es der einen oder anderen Gruppe ins Land zu kommen. Nach vielen Vermittlungsversuchen und fünf Waffenstillstandsvereinbarungen wurden die Waffen niedergelegt, und am 20. Februar 1999 bildete sich eine Regierung der Nationalen Einheit. Die ausländischen Truppen zogen einige Wochen danach ab. Am 6. Mai 1999 kam es jedoch zu einem erneuten Aufflammen der Kämpfe in Bissau. Nachdem Staatschef Vieira sich geweigert hatte, das Präsidentenbattalion zu entwaffnen, bewaffneten sich auch die Truppen der Junta wieder und stürmten den Sitz des Präsidenten nach 18 Stunden Kampf, die mit der Niederlage des Präsidenten beendet wurden. Die wenigen ihm noch ergebenen Kräfte ergaben sich am Abend des 7. Mai, während er selbst zuerst im französischen kulturellen Zentrum und danach in den Wohnräumen der Bistums von Bissau Zuflucht suchte. Von dort verhandelte Präsident Vieira wegen des Zutritts zur portugiesischen Botschaft. Portugal gewährte dem Präsidenten politisches Asyl, nachdem er eine Erklärung über den bedingungslosen Waffenstillstand und Machtverzicht unterzeichnet hatte. Am 13. Mai wurde 1999 Agostinho Cabral de Almada von der PAIGC zum Präsidenten des Parlaments, der Nationalen Volksversammlung, gewählt, und am 14. Mai wurde ein Interimspräsident ernannt, Malan Bacai Sanhá (PAIGC). Er ist 52 Jahre alt, gehört der Ethnie der Beafada an und hat in der ehemaligen DDR Politische Wissenschaft studiert. Das Parlament hat seither regelmässig getagt, es wurden neue Minister ernannt, die Flüchtlinge kehrten zum grossen Teil in ihre Wohnungen zurück und nahmen ihre Geschäfte im Rahmen des Möglichen wieder auf. Das Land, besonders Bissau, hat inzwischen hart gearbeitet, nicht nur um die Infrastrukturen wieder herzustellen und zur Normalität zurückzukehren, sondern auch um ein positives und vertrauenswürdiges Bild im Ausland zu vermitteln. Von dessen humanitärer Hilfe und finanzieller Unterstützung ist das Land noch vollständig abhängig. Wahlen wurden für den 28. November dieses Jahres angesetzt. Die politischen Parteien haben ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen vorgestellt, insgesamt 13, von diesen drei unabhängige, die keiner Partei angehören. Inzwischen (Dezember 1999) haben die Wahlen stattgefunden, nach Aussagen der internationalen Beobachter im grossen ganzen ohne Zwischenfälle. Bei den Parlamentswahlen erhielt die Oppositionspartei PRS (Partido da Renovação Social- Partei der Sozialen Erneuerung) die meisten Stimmen, gefolgt von einer weiteren Oppositionspartei, der RGB (Resistência da Guiné-Bissau-Movimento Bafatá – Widerstand von Guinea-Bissau-Bewegung Bafatá), und die bisherige Regierungspartei, die PAIGC, folgte erst an dritter Stelle. Bei den Präsidentschaftswahlent errang der Kandidat der PRS, Kumba Yalá, die meisten Stimmen, er blieb jedoch unter 50%, und es wird zu einer Stichwahl zwischen ihm und dem Präsidentschaftskandidaten der PAIGC, Malan Bacai Sanhá, kommen. Für die PAIGC scheinen die Tage ihrer Herrschaft jedoch dem Ende entgegenzugehen. Das Land war vor dem Juli 1998 trotz aller Schwierigkeiten auf einem positiven Weg. Die Initiativen von Privatunternehmen begannen Früchte zu tragen, das Strassennetz wurde erweitert und verbessert, das Erziehungswesen arbeitete zum ersten Mal moralisch einwandfrei und orientierte sich an den realen Notwendigkeiten des Landes. Das kulturelle Leben wurde lebendiger, es wurden drei Zeitungen und eine Kulturzeitschrift herausgegeben, es wurden Lyrikbände und Romane publiziert. Es zeigte sich endlich Licht – sogar glänzendes – am Ende des Tunnels. Jetzt wird Guinea-Bissau sich wieder aufraffen müssen, aber es wird nicht mehr dasselbe sein, nichts wird mehr so sein wie vorher. Für seine zukünftige Gestalt lassen sich noch keine Vorhersagen machen.